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Chemnitz ist immer - nur nicht so laut

„Mama, warum steht auf dem Schild ‚Ausländer raus‘? Meinen die mich?“ – Niemals hätte ich gedacht, dass ich meiner Tochter diese Frage einmal beantworten müsste. Irgendwie dachte ich, das würde hinter uns liegen. Tut es aber nicht. Vor ein paar Tagen kam sie während der Tagesschau ins Wohnzimmer und sah ein Plakat aus Chemnitz. Und seitdem lässt es sie nicht mehr los.

 

Ich muss zugeben, ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich mir die Bilder aus Chemnitz überhaupt angucken konnte, bis ich darüber etwas lesen konnte. Ich dachte, für den Großteil der Deutschen wäre eigentlich klar, dass man zwar das „Wie“ von Migration diskutieren kann, aber nicht das „Ob“. Ich finde es so erschreckend, was für eine Tendenz im Moment in Europa und in der ganzen Welt herrscht, in wie vielen Ländern es offensichtlich als beste Strategie erscheint sich einzukapseln und so zu tun, als wenn man nicht im größeren Zusammenhang existieren würde. Irgendwie scheint es gerade überall nur rückwärts zu gehen.

 

Doch so schrecklich es auch ist, was dort in der letzten Woche passiert ist, so können wir es ja vielleicht auch als Chance begreifen. Als Weckruf für uns alle in Deutschland, dass wir lange noch nicht so weit sind wie wir vielleicht dachten. Und als ganz deutlichen Hinweis, dass es Zeit ist, genau hinzugucken, zuzuhören und Menschen zu glauben, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählen. Diejenigen, die von Chemnitz nämlich nicht besonders überrascht sind, sind Menschen mit Migrationshintergrund.

 

Ich dachte eigentlich auch immer, dass Rassismus in Deutschland auf dem absteigenden Ast ist. War ja auch leicht für mich, ich bekomme es ja nie mit. Ich bin bis jetzt unglaublich privilegiert durch mein Leben gegangen, und leider habe ich nicht immer ganz genau hingeschaut, mir ging es ja gut. Erstmals habe ich in meinem Studium realisiert, dass das Leben in Deutschland für Menschen die anders aussehen, anders sprechen oder anders sind nicht immer so einfach ist. Mit meinen kolumbianischen Freunden kam ich plötzlich nicht mehr in Clubs rein, in die ich alleine problemlos gelassen wurde. Wenn ich mit einem Kommilitonen aus Afrika Straßenbahn fuhr, wurden wir angeglotzt, als wenn wir Außerirdische seien und hinter unserem Rücken wurde getuschelt. Irgendwie merke ich schnell, dass man unter permanenter Beobachtung steht, wenn man nicht ins Bild passt. Ein ganz neues Gefühl für mich.

 

Als ich Miriams Vater kennenlernte, der aus Marokko kommt, wurde es nochmal deutlicher. Ständig mussten wir uns erklären, Wildfremde warnten mich vor ihm, und gemeinsam wurden wir in ganz vielen Situationen anders behandelt. Nachdem ich ihn bei einem Termin zum Ausländeramt begleitet habe, hat er mich gebeten, das nächste Mal zu Hause zu bleiben – ich hatte mich sofort mit der Beamtin angelegt, die ein Maß an Unverschämtheit an den Tag gelegt hat, das ich so aus keinem Zusammenhang kenne. Ich wollte mich wehren, doch er sagte nur: „So ist das immer. Still sein, schlucken, sonst gibt es nur Probleme.“

 

In so vielen Situationen schien das die Weisung zu sein. Schlucken, umdrehen, weitermachen. Bloß nicht laut sein und sich empören. Und heute wundern wir uns, warum das in Deutschland in vielen Fällen mit der Integration nicht klappt. Denn mal ehrlich gesagt, wer möchte denn so behandelt werden?

 

An ein paar Stellen hatte ich also schon realisiert, dass mein Erleben nicht Referenzrahmen für Menschen mit Migrationshintergrund oder Flüchtlinge in Deutschland ist. Eine ganz andere Dimension erreicht das nun mit Miriam. Auch sie ist anders, passt nicht so ganz. Und obwohl sie ein Kind ist, lassen manche Menschen sie das spüren.  

 

Kinder, die sich auf dem Spielplatz umdrehen und sagen: „Mit der nicht spielen, die kommt nicht aus Deutschland.“ sind uns schon begegnet. Erwachsene, die vor ihr fragen wie das denn mit der Adoption geklappt hätte – die also in Frage stellen, dass sie zu mir gehört, da sie anders aussieht. Und die permanenten Fragen, die uns gestellt werden. Wir müssen uns immer erklären.

 

Für mich wird deutlich, dass sich jetzt in Chemnitz etwas Bahn gebrochen hat, dass immer da ist – und nicht nur in Sachsen. Da müssen wir uns alle an die Nase fassen und genau hinschauen. Man merkt es ja jetzt auch daran, wie schnell bestimmte Politiker bereit sind, auf den Zug aufzuspringen, da die Grundeinstellung schon immer da war. Es ist jetzt besonders wichtig, aufzustehen und laut zu sein, gegen rechts und demokratiefeindliche Kräfte. Aber nicht nur jetzt, sondern auch morgen, nächste Woche, nächstes Jahr.

 

Große Gesten wie Konzerte und Demos sind super. Kleine Dinge sind aber genauso wichtig. Ich habe mir jetzt vorgenommen, noch viel öfters zu widersprechen, wenn Diskussionen abdriften. Viel zu oft habe ich mich nicht eingemischt und mich abgewendet. Viel öfters werde ich mich jetzt äußern, denn durch schweigen mache ich mich mitschuldig. Und ich habe mir auch vorgenommen, mein eigenes Denken mehr zu hinterfragen. Und man muss ja nicht immer gegeneinander diskutieren. Einfach mehr miteinander reden würde glaube ich sehr helfen – auf allen Seiten.

 

Und wieder – ich schreibe diesen Artikel als Deutsche, die sicher ist und schön von Kommunikation schreiben kann. Miriams Vater hat mir gerade gesagt, er hat Angst. Angst um seine Töchter, Angst vor der ganzen Situation. Neben Angst gibt es auch noch Wut, Resignation und andere Gefühle. Alle mit ihrer absoluten Berechtigung. Wir – diejenigen die keine Angst haben müssen – stehen jetzt in der Verantwortung, Brücken zu schlagen und es überhaupt möglich zu machen, in einen konstruktiven Dialog zu kommen. Und wir dürfen nicht mehr locker lassen und uns ausruhen – denn bis jetzt haben wir noch lange nicht genug erreicht. 

 


Auch wenn mein Blog noch nicht besonders groß ist, ich habe trotzdem das Gefühl, dass ich meine Stimme erheben möchte. Andere Blogger haben dies auch getan, wer dort weiter lesen möchte kann dies bei der Kampagne "Blogger gegen Rassismus" tun. Ein Beitrag, der mir sehr gut gefallen hat und der auch Faktoren aufgreift wie unser Passprivileg und die Verwantwortung, die wir als Nation mit kolonialer Vergangenheit gegenüber Ländern haben, die jetzt ganz unten angekommen sind kommt von "Mit Kind im Rucksack" - eine absolute Leseempfehlung von mir.

Und noch einige Artikel zum Weiterlesen:

 

Nicht nur mehr, sondern lauter. #wirsindmehr von Perlenmama

 

Haltung zeigen - in Tagen von Chemnitz von Mama Nisla rockt und bloggt

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Kommentare: 8
  • #1

    Agnes (Donnerstag, 06 September 2018 20:20)

    Wie du schreibst, jeder Schritt zählt. Danke für deine offenen Worte!

  • #2

    Lexa (Donnerstag, 06 September 2018 20:34)

    Danke für diesen Beitrag :)
    Wenn man persönlich betroffen ist (und wenn es auch "nur" indirekt ist), ist die momentane Situation sicherlich noch mal erschreckender. Umso besser, wenn man sich öffentlich dazu äußert. Ich habe meinen heutigen Blogbeitrag mit einem ganz ähnlichem Appel beendet. Zumindest habe ich drüber geschrieben, das wir uns unser Privilegien bewusst werden müssen und denjenigen den Rücken stärken, die diskriminiert werden: https://meergedanken.de/wahrnehmen-privilegien/
    Ich hoffe, der Link ist für dich okay, es passt einfach zu gut.
    LG Lexa

  • #3

    Meine Eltern-Zeit (Donnerstag, 06 September 2018 20:37)

    Toll, dass du dich engagierst und auf den unterschwelligen Rassismus aufmerksam machst!

  • #4

    Ines (Freitag, 07 September 2018 07:41)

    Schöner Beitrag Eva und ein Thema was mich natürlich auch schon lange beschäftigt.

    Auch wenn ich als Sachse und Leipziger, es etwas nervig finde, dass das restliche Deutschland uns da alle über einen Kamm scheren möchte. Keinesfalls sind wir alle Rassisten, jedoch erfahre ich nach jedem weiterem mal was ich nach Deutschland komme, dass das Thema immer präsenter wird.
    Ich kann auch nicht verleugnen, dass ich nach der letzten Wahl, während der ich nicht in Deutschland war, ernsthafte Überlegungen angestellt habe wieder zurück zu gehen. Rein allein aus Schutz meines Mannes.

    In meinem und meines Mannes Umfeld kommt es natürlich häufig zu Gesprächen / Diskussionen um das Thema, auch wenn ich da keinen kenne der mit Schildern, verbal oder wie auch immer auf Ausländer losgeht.

    Oft höre ich dann, wenn ich nachfrage - weshalb hinterfragt ihr nicht das mein Mann als Ausländer immer mal in Deutschland lebt - ? Na den kennen wir doch, er ist lieb, nett, höflich, spricht deutsch und geht arbeiten.

    So schauts aus. Sich gegenseitig besser kennenlernen, könnte ein Ansatzpunkt sein. Und, ein sicherlich auch wichtiger Aspekt - ein grundlegendes Wissen, über andere Länder und Kulturen.

    Und Eva genau wie Du bin ich damals mit zum Ausländeramt. Ich würde mir das auch nach wie vor nicht nehmen lassen. Mit dem Großteil der Mitarbeiter, denen wir von Angesicht zu Angesicht saßen, hatten wir freundliche und korrekte Gespräche. Es gab da aber auch solche, welche ihre Machtposition - von der sie dachten sie besitzen sie - ausspielen wollten. Auch mir ging es wie Miriams Vater anfangs. Und ich bin Deutsche - ruhig sein, sich vieles gefallen lassen um zu seinem gesetzlichen Recht zu kommen. Ein geringer Teil solcher Mitarbeiter begegneten uns auch. Und diese waren, so bekam ich im Laufe des Prozesses mit - unwissend. Entschuldige das ich das so schreibe.....ich würde schon sagen dumm. Dumm in jener Beziehung, sich selber als besserer intelligenterer Mensch zu sehen, da man ja aus Deutschland kommt, gute Bildung genießen durfte und eben von "hier" ist.

    Das war oder ist für mich auch Rassismus - mir gegenüber , da ich einen Mann einer anderen Kultur geheiratet habe. Im Laufe der Zeit hat sich mein Verhalten gewandelt. Über Wut letztendlich bis zu Gelassenheit. Ein langer harter Weg.

    Ich kann das nicht alles schreiben. Es war zu viel was da passierte, was in meinen Augen Rassismus ist. Aussagen, von Menschen die mich nicht kannten - nur unsere Akte - haben über uns geurteilt und hatten die Macht über unsere weitere Zukunft zu entscheiden, nur weil mein Mann aus einem anderen Land - wohlbemerkt einem "armen" Land kam.

    Solche Mütter, wie jene die ihre Kinder nicht mit Miriam spielen lassen möchten, sind unwissend. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Multi Kulti, wie es so schön heisst, ist die Zukunft. Anstatt dies als Chance zu sehen, sehen sie es anscheinend als Bedrohung. Leider geben sie ihre Meinung an die Kinder weiter, so dass sicher noch einiges an Jahrzehnten vergehen wird, bis solch ein Thema weniger präsent ist und die Situation normal ist.

    Auf das die Zeiten bald besser werden. Viele Grüße

  • #5

    Eva (Samstag, 08 September 2018 09:29)

    Liebe Ines,
    vielen Dank für deinen langen Kommentar. Kann ich mir gut vorstellen, dass ihr euch auch schon so einige anhören musstet. Umso wichtiger ist es, Position zu beziehen.
    Das mit dem Amt habe ich auch so erlebt, aber es hat mich eben wahnsinnig gemacht. Ich bin nie zu dem Punkt gekommen, an dem ich geduldig wurde, ich bin in der Wut hängen geblieben.
    Ich denke auch mit dem anderen Punkt hast du Recht, viele Vorurteile und Missverständnisse entstehen in Unwissenheit. Wo das eine Erklärung ist, ist das für mich aber keine Entschuldigung. Es sollte ja eigentlich keine Überforderung sein, erstmal hinzugucken bevor man losbrüllt. Ist es aber wohl.
    Ich hoffe sehr, dass dies erstmal ein Weckruf ist und vielen Leuten jetzt erstmal bewusst wird, dass Problem da sind. Es ist so schön einfach, wegzugucken wenn man nicht selbst betroffen ist, aber jetzt hat das Biest wenigstens mal allen sein Gesicht gezeigt. Ich hoffe, wir kommen jetzt ein Stückchen weiter.

    Viele Grüße,
    Eva

  • #6

    Karin (Montag, 10 September 2018 09:10)

    Es tut mir sehr leid für deine Tochter und dich, dass ihr diese Erfahrungen machen müsst. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Kinder eigentlich sehr, sehr offen und neugierig sind. Daher kommt dieses "mit der spiele ich nicht, die kommt nicht aus Deutschland" mit absoluter Sicherheit nicht von den Kindern sondern von den Eltern. Diese wissen in ihrer Engstirnigkeit leider nicht, was sie ihrem eigenen Kind damit verbauen und wie sie der Gesellschaft, in der sie leben, damit schaden.

    Ich finde es gut, dass du dich in Zukunft stärker in die Debatte einbringen möchtest, es ist oft bequemer zu schweigen, da man denkt "lohnt sich die Diskussion jetzt? Die lassen sich doch eh nicht überzeugen...", da muss ich mir auch an dies Nase fassen.

    Trotzdem bin ich der festen Überzeugung #wirsindmehr!

  • #7

    Paul (Donnerstag, 21 November 2019 16:05)

    Hallo,
    wir sind sehr froh das wir in einer Region lebe wo das miteinander gut funktioniert.
    z.B. unser Enkel 5 Jahre spielt mit allen Kinder, egal woher sie kommen.
    Meine Frau und ich begleiten seit Jahren eine Familie aus Bulgarien, Behörden u.s.w. Wir denken nur so kann Integration und ein miteinander funktionieren. Bei uns in Achern gibt es sehr viele die andern bei der Integration helfen. Das miteinander macht das Leben lebenswert.
    Grüssle Beate und Paul. www.my-stories.eu

  • #8

    Archie Gupta (Montag, 25 Juli 2022 13:29)

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