Als ich noch alleinstehend war, hatte ich manchmal das Gefühl, Sexismus in Deutschland ist überwunden (ja, ich weiß, naiv ohne Ende :-)). Ich fühlte mich frei tun zu können was ich wollte, hatte nicht das Gefühl in meinen beruflichen Zusammenhängen als Frau anders behandelt zu werden und fühlte mich verdammt emanzipiert. Seitdem Miriam auf der Welt ist und ich in eine andere Lebensphase eingetreten bin, habe ich aber festgestellt, dass ich da wohl in einer Scheinwelt gelebt habe – Sexismus und Geschlechterdiskriminierung in Deutschland sind weiterhin existent und keineswegs ausgemerzt. Sobald man ein Kind bekommt, wird man in der Gesellschaft plötzlich ganz anders gesehen.
Plötzlich ist man nur noch die "junge Mutter"
Egal wie gleichberechtigt und frei man sich als Frau fühlte, als Mutter ist plötzlich alles anders. Ein super Beispiel, finde ich, ist der Fall einer meiner besten Freudinnen. Wenn ich an das Inbild einer emanzipierten und selbstständigen Frau denke, dann denke ich an sie: sie hat ihr Studium mit Brillanz durchgezogen, arbeitet in einem von Männern dominierten Feld und wird von Headhuntern umschwärmt. Im letzten Jahr hat sie ihr erstes Kind bekommen und ihre Familie wurde zufällig für ein Interview mit einer Lokalzeitung ausgewählt. In der Zeitung steht jetzt: Die junge Mutter und der Softwareentwickler freuen sich über die Geburt ihres ersten Sohnes.
Ist ihr Freund jetzt kein junger Vater? Ist sie jetzt nicht mehr berufstätig? Wenn ich die beiden nicht kennen würde, würde ich bei der Formulierung intuitiv davon ausgehen, dass der Beruf der Frau wohl nicht so wichtig ist – dabei definiert meine Freundin sich genauso darüber, wie ihr Freund (wenn nicht sogar mehr). Im Gespräch über den Artikel sagte ihr Freund dann, dass sie ihren Beruf im Interview aber auch nicht genannt hätte. Wobei ich mich dann frage, ob der Lokaljournalist dann nicht auch bei ihm den Beruf hätte weglassen sollen. Denn seien wir mal ehrlich, er hätte niemals geschrieben: Die Softwareentwicklerin und der junge Vater.
Mütter kümmern sich um die Kinderbetreuung - Väter müssen nach Afghanistan
Mir ging es nach Miriams Geburt an einigen Stellen ganz ähnlich. Ich wollte wieder in meinem Feld arbeiten und habe über 50 Bewerbungen geschrieben – ich bin nicht mal zu einem einzigen Gespräch eingeladen worden. Das einzige Bewerbungsverfahren, in dem ich in einen Auswahlworkshop gekommen bin, war anonymisiert – komischer Zufall, oder? Und dort habe ich dann ein Paradebeispiel von Sexismus erlebt, von dem ich auch sechs Jahre später noch beeindruckt bin.
Es ging um einen Platz für ein Aufbaustudium und es waren 60 Kandidaten eingeladen – am Ende gab es allerdings nur 20 Plätze. Schon beim Frühstück lernte ich Philip kennen, einen jungen Mann dessen Vita schon gruselig mit meiner übereinstimmte. Wir beiden hatten zwei Jahre in Ecuador gearbeitet, anschließend Geographie studiert und sogar mit der gleichen Note abgeschlossen. Und wir beide hatten ein Kind, seins war zwei Monate jünger als Miriam.
Im Auswahlgespräch wurde ich dann gefragt, wie ich mir denn ein Vollzeitstudium mit kleinem Kind vorstellen würde. Ob ich schon Betreuungspläne hätte. Familie in der Nähe? Sei ja alles nicht so leicht mit Kind. Allerdings könnte ich davon ausgehen, dass für mein Praxissemester ein familienfreundliches Land ausgesucht werde, ich müsse keine Angst haben, nach Afghanistan oder in den Sudan geschickt zu werden.
Nach mir war Philip dran, und als er rauskam habe ich ihn natürlich sofort gelöchert, wie er die Betreuungsfragen beantwortet hätte – ich hatte nämlich noch keinen richtigen Plan. Da stellte sich heraus, dass ihn keiner danach gefragt hatte. Allerdings hat man ihm schon im Gespräch mitgeteilt, dass er ein Kandidat für ein Praxissemester in Krisenländern sei.
Nach dem Vergleich unserer beiden Gespräche waren wir erst mal beide geschockt. Bei einer Mutter wird also automatisch davon ausgegangen, dass sie für die Kinderbetreuung zuständig ist, bei einem Vater nicht. Andersrum kann der Vater ruhig in ein Kriegsgebiet geschickt werden, das Kind bleibt ja sowieso zu Hause.
Unterstützung statt Schubladendenken
Wenn man ein Kind bekommt, verändert sich so viel im Leben und auch in der eigenen Person. Ich finde, diese inneren Querelen reichen doch schon, warum muss man dazu auch noch von außen beitragen? Von dem Moment an als Miriam geboren wurde, hatte ich das Gefühl in den Augen von vielen nur noch Mutter zu sein. Alle anderen Rollen, die ich mir teilweise hart erkämpft hatte, waren plötzlich weg. Dabei war ich doch auch noch Freundin, Partnerin, Wissenschaftlerin, Geographin, Sportlerin, und 1000 Sachen mehr.
Für Männer ist es glaube ich genau andersherum (obwohl ich da natürlich nicht aus eigener Erfahrung sprechen kann). Von ihnen wird erwartet, dass sich nichts ändert. Naja, ist er halt Vater geworden, aber er kann ja bitteschön trotzdem normal weiterarbeiten. Bloß nicht mal früher nach Hause gehen oder gar auf das Kind aufpassen, wenn es krank wird. Philips Beispiel hat mir gezeigt, dass diese Diskriminierung ja auch für die Männer unglaublich negative Auswirkungen hat: Wo Frauen plötzlich nur noch Mutter sein dürfen, müssen Männer unglaublich kämpfen, wenn sie denn „nur noch Vater“ sein wollen – oder auch nur „auch Vater“. Auch der Freund der „jungen Mutter“ von oben musste mit harten Bandagen kämpfen, um seine Elternzeit zu seinen Konditionen durchzuboxen und eben auch seine Rolle als Vater auszufüllen – so wie er und seine Partnerin gemeinsam diese definiert haben.
Natürlich ändern sich die Rollen, die man selber ausfüllen möchte, sobald man ein Kind hat. Und es gibt sicherlich Frauen, die in ihrer Mutterrolle aufgehen und sehr zufrieden damit sind „nur“ als Mutter gesehen zu werden. Aber das sollte immer eine eigene Entscheidung sein und nicht von außen diktiert werden. Genauso bei Vätern. Elternwerden stürzt einen schon ohne äußeren Druck in eine mittelschwere Identitätskrise. Dazu sollte die Gesellschaft nicht auch noch beitragen, indem man Müttern und Vätern plötzlich Rollenbilder aus den 50er Jahren aufstülpt, die diese dann mit unglaublicher Anstrengung abwehren müssen. Elternsein ist schon so anstrengend genug!
Kommentar schreiben